Guillain-Barré-Syndrom

Guillain Barré Syndrom (Abkürz.GBS)

Synonyme

Akute idiopathische Polyradikuloneuritis, Polyneuritis, Landry-Guillain- Barré-Strohl-Syndrom, Polyradikulitis, idiopathische Polyradikulo- neuropathie, Kussmaul-Landry-Syndrom, GBS

Englisch: Guillain-Barré syndrome, acute inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy (AIDP)

 


                                  

 

Definition der Krankheit

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine neurologische Erkrankung die auf einer Entmarkung (Demyelinisierung) von Nervenfasern beruht.
Um das 25. und um das 60. Lebensjahr liegen zwei Erkrankungsgipfel. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

 

 

                          

 

Verlauf

Die innerhalb von ein bis zwei Tagen rasch fortschreitende Form der Erkrankung mit schwersten Lähmungen, die Beine, Arme, Nacken und Atemmuskeln betrifft, wurde bereits im Jahre 1859 von Jean-Baptiste-Octave Landry de Thézillat (1826 – 1865) beschrieben.
Er verfasste einen Bericht über zehn Patienten mit akut aufsteigenden Lähmungen. Aus diesem Grund wird bei sich besonders rasch entwickelnden schweren Verläufen des Guillain-Barré-Syndroms auch heute noch von der Landry-Paralyse gesprochen.  

Ernst von Leyden (1832 – 1910), differenzierte bereits im Jahre 1880 zwischen den „acuten und subacuten multiplen Neuritiden“ als primäre entzündliche Erkrankungen der Nervenfortsätze und den primären Rückenmarkserkrankungen, insbesondere der Kinderlähmung (Poliomyelitis).  

Das Guillain-Barré-Syndrom müsste eigentlich Guillain-Barré-Strohl-Syndrom heißen. Georges Guillain, Jean Alexandre Barré und André Strohl beschrieben 1916 als Erste den für das Guillain-Barré-Syndrom typisch erhöhten Proteinspiegel bei normaler Zellzahl (zytoalbuminäre Dissoziation) im Nervenwasser (Liquor) eines an akuter Radikuloneuritis (Nervenwurzelentzündung) erkrankten Patienten.
Die Nervenwassergewinnung (Liquorpunktion) zur sogenannten  Liquordiagnostik  war 1891 durch den deutschen Internisten Heinrich Irenaeus Quincke erfunden worden.

Die erste größere Darstellung der anatomisch-pathologischen Veränderungen beim Guillain-Barré-Syndrom / GBS wurde von W. Haymaker und J.W. Kernohan zusammengestellt.
Im Streit um die Ursache wurde schon früh von „infektiöser“ oder von „rheumatischer“ Genese gesprochen. Alfred Bannwarth (1903 – 1970) und Heinrich Pette (1887 – 1964) sprachen sich Anfang der 40er Jahre für eine allergisch-hyperergische Ursache aus. Sie vermuteten also bereits eine wesentliche Beteiligung des Immunsystems.

Im Jahr 1956 wurde vom Kanadier Miller Fisher eine weitere Verlaufsform beschrieben. Er berichtete die Krankheitsverläufe von drei Patienten, die akut aufgetretene Lähmungen der Augenmuskulatur, eine Störung der Zielbewegungen (Ataxie) sowie ein Fehlen der Muskeleigenreflexe an Armen und Beinen aufwiesen.
Es gab einen Patient der zusätzlich eine Lähmung der Gesichtsmuskulatur vorweiste. Die Genesung trat bei allen drei Patienten spontan ein.  

Zwei Jahre später beschrieb J. H. Austin eine chronische Verlaufsform der Erkrankung, die heute als chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuritis (CIDP) bezeichnet wird.

Zusammenfassung

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine neurologische Erkrankung die auf einer Entmarkung von Nervenfasern beruht. Hierbei verlieren die Nervenzelle ihre isolierende Schicht, vergleichbar mit einem Stromkabel, wodurch die Nervenzelle die Funktion zur Informationsweitergabe verliert.
Die Ursache ist nicht vollständig geklärt. Es werden eine Autoimmunreaktion und neuroallergische Reaktionen auf vorangegangene Infektionen diskutiert.
Grundsätzlich kann das Guillain-Barré-Syndrom in jedem Alter auftreten, insbesondere aber um das 25. und das 60. Lebensjahr.
Typischerweise beginnt die Erkrankung 2-4 Wochen nach einem Infekt der oberen Luftwege oder des Magen-Darm-Traktes.
Die ersten Symptome sind Rückenschmerzen , Taubheitsgefühle und Missempfindungen im Bereich der Füsse. Dann folgt eine meist symmetrische motorische Schwäche der Beine, Muskelschmerzen, Gang- und Stehschwierigkeiten.
Die von unten aufsteigenden Lähmungen können bis zur Atemlähmung und zum Herzstillstand führen, so dass eine Beatmung und ein Herzschrittmacher notwendig werden können.
Die Diagnose wird durch eine intensive Befragung, eine körperlich- neurologische Untersuchung und eine Punktion von Nervenwasser (Liquordiagnostik) gestellt.
Die Therapie erfolgt symptomatisch unter intensivmedizinischer Überwachung. Günstige Verläufe überwiegen.
Ältere Patienten und Patienten mit langer Beatmungsdauer (länger als 1 Monat) habe eine schlechtere Prognose. Bis zu 4% der Patienten erleiden nach Monaten bis Jahren einen Rückfall und erkranken erneut.

Ursache

Die Ursache des Guillain-Barré-Syndrom ist nicht endgültig geklärt. Es scheint eine Autoimmunreaktion stattzufinden, dass heißt, das eigene Immunsystem greift körpereigenes Gewebe an.
Beim Guillain-Barré-Syndrom (GBS) wird bei der mikroskopischen Betrachtung von Gewebeproben eine Entzündung und Infiltration mit bestimmten Immunzellen (u.a. Makrophagen) in den Markscheiden der Nerven gefunden.

 

 

                   

            

 

 

Abbildung einer Nervenzelle

1. Dentriten

2. Zellkörper

3. Axon mit Markscheide,die beim GBS angegriffen werden

4. Zellkern

 

 

Daraus folgt ein Markscheidenzerfall ab der vorderen und hinteren Wurzel vom Rückenmark (Polyradikulitis) und der dazugehörigen peripheren Nerven (Polyneuritis), die für die Muskeln und die Sensibilität zuständig sind.
Weitere Informationen erhalten Sie auch unter unserem Thema:
Rückenmark
Eine weitere Erklärungsmöglichkeit für das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine neuroallergische Reaktion auf vorangegangene virale (z.B.
Epstein-Barr-Virus, Varicella-Zoster-Virus) oder bakterielle (z.B. Campylobacter jejuni, Mykoplasmen, Leptospiren, Rickettsien) Infektionen.

Symptome

Häufig beginnen 2-4 Wochen nach einem Infekt der oberen Luftwege oder Magen-Darm-Traktes zunächst

  • uncharakteristische  Rückenschmerzen
  • v.a. von der Körpermitte entfernte Missempfindungen (distale Parästhesien)
  • Taubheitsgefühl der Füsse.
  • dann motorische symmetrische Schwäche der Beine (das Gehen fällt schwer oder wird unmöglich)
  • Muskelschmerzen (Myalgien)
  • von den Nervenwurzeln ausgehende Schmerzen und Koordinationsstörungen beim Stehen und Gehen durch fehlende Tiefensensibilität (Ataxie).

Die Lähmungen steigen von unten nach oben auf bis hin zur hohen Querschnittslähmung (Tetraplegie), bei der weder Arme noch Beine bewegt werden können. Falls das Zwerchfell mitbeteiligt ist, fällt die  Atmung ebenfalls aus und der Patient muss beatmet werden.
Eine Atemlähmung tritt bei ca. 20% der Patienten auf. Auch die Hirnnerven (Neuritis cranialis) können beteiligt sein und zu Schluckstörungen sowie zur Gesichtslähmung (Fazialisparese) führen. Aus der Gesichtslähmung resultieren Schwierigkeiten beim Sprechen und beim Kauen, sowie ein verminderter Tränenfluss und eine verminderte Speichelsekretion. Selten kommt es auch zu einer Augenbewegungsstörung.
Das unwillkürliche (autonome, vegetative) Nervensystem ist ebenfalls betroffen. Vegetative Symptome sind Schweißsekretionsstörungen, Herzrhythmusstörungen, Blutdruck- und Temperaturschwankungen, Pupillenbewegungsstörungen (Pupillomotorik), zu hohe Blutzuckerwerte (Hyperglykämien) und Störungen der Blasen- und Darmentleerung.
Der Höhepunkt der Erkrankung liegt bei 90% der Patienten innerhalb von 3-4 Wochen.

Diagnose

Vorgeschichte (Anamnese): insbesondere spielen hierbei vorangegangene, unspezifische Infekte der Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes eine Rolle.

Untersuchung vom  Nervensystem: auffällig sind Ausfälle von Muskeln (Lähmungen, Paresen), Nichtvorhandensein von Reflexen (Areflexie) und Sensibilitätsstörungen.

Entnahme und Untersuchung von Nervenwasser (Liquorpunktion zur Liquordiagnostik): klares Nervenwasser, normale bis leicht erhöhte Zellzahl, Zucker normal, Eiweiß erhöht auf >100mg/dl mit Zeichen einer Schrankenstörung (typisch ist eine so genannte zytoalbuminäre Dissoziation).

Die Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) ist verlangsamt teilweise bis hin zum Leitungsblock.

Das Elektromyogramm (EMG), mit dem die Aktivität des Muskels aufgezeichnet werden kann, zeigt eine mangelhafte oder fehlende Versorgung der Muskeln mit Nervensignalen (Denervierungszeichen).

Mit Hilfe einer Gewebeentnahme aus einem Nerven (Nervenbiopsie) kann eine Entmarkung der Nerven (Demyelinisierung) unter dem mIkroskop (histlogisch / pathologisch) nachgewiesen werden.

Ein Erregernachweis (Campylobacter jejuni, Epstein-Barr-Virus, Varicella-Zoster-Virus, Mykoplasmen, Leptospiren, Rickettsien) im Blut gelingt in einigen Fällen.

Therapie

Die Behandlung erfolgt symptomatisch unter intensivmedizinischer Überwachung. Das heißt, vor allem die Funktion von Herz und Lungen werden kontinuierlich überwacht.
Gegebenenfalls werden ein Herzschrittmacher und eine Beatmung notwendig. Die
Ernährung muss unter Umständen über Nährstoff- und Flüssigkeitsgaben über eine Vene (Infusionen) sichergestellt werden.
Des Weiteren sind Physiotherapie, eine psychische Betreuung und prophylaktische Maßnahmen zur Verhütung von Druckgeschwüren,
Blutgerinnselbildung(Thrombose), Gelenkeinsteifungen (Kontrakturen) und Lungenentzündung (Pneumonie) wichtige Therapiebestandteile.
Die medikamentöse Therapie besteht aus der hochdosierten Gabe von Antikörpern (7-S-Immunglobulin G 0,4g/kgKG/Tag) über eine Vene für 5 Tage.
Cortisonpräparate kommen nur bei der chronischen Form des Guillain-Barré-Syndroms zum Einsatz.
Bei Fortschreiten der Erkrankung und hochgradiger Einschränkung der Gehfähigkeit (Gehstrecke geringer als 5 m ohne Hilfe) wird 5 - mal alle 2 Tage eine Plasmapherese durchgeführt.
Bei der Plasmapherese wird die Blutflüssigkeit (Plasma) von den Blutzellen getrennt. Dann kann das Plasma gereinigt und wieder zusammen mit den Zellen dem Patienten zurückgegeben werden.
Alternativ können die Zellen zusammen mit fremdem Plasma, Plasmaersatz etc. zurückgegeben werden. Die Plasmapherese führt zu einer schnelleren Rückbildung der Symptome und zu einer kürzeren Beatmungszeit.

Prognose

Die Erholung dauert Wochen bis Monate.
Die neurologischen Ausfälle bilden sich in umgekehrter Reihenfolge zurück. Die Letalität (Tötlichkeit) ist abhängig von der Pflege und liegt heute unter 5%.
Prognostisch ungünstig ist eine über einen Monat dauernde Beatmungspflichtigkeit. In ca. 70% der Fälle heilt das Guillain-Barré-Syndrom zwar mit motorischen Schwächen und Reflexdefiziten, aber ohne Behinderung des täglichen Lebens aus. 5 - 15% behalten beeinträchtigende Behinderungen zurück.
Bei ungefähr 4 % kommt es nach Monaten oder Jahren zum erneuten Ausbruch der Krankheit (Rezidiv).

Komplikationen

Der Herzstillstand (Asystolie) ist eine Komplikation beim Guillain-Barré-Syndrom, die durch eine Überleitungsstörung der Nervenzellen am Herzen entsteht.
Durch die krankhafte Veränderung an speziellen Nervenfasern (autonome Neuropathie), die für eine der Situation angemessene Herzfrequenz verantwortlich sind, kommt das Herz aus dem Rhythmus. Die Folge sind
Herzrhythmusstörungen, bei denen das Herz zu schnell (Tachykardie), zu langsam (Bradykardie) oder gar nicht mehr schlägt (Asystolie). In dieser Situation kann für eine gewisse Zeit ein Herzschrittmacher oder eine Wiederbelebung (Reanimation) notwendig sein.

Da die krankhafte Veränderung an speziellen Nervenfasern (autonome Neuropathie) nicht nur diejenigen Fasern betrifft, die zum Herz ziehen, sondern auch z.B. diejenigen, die zur Lunge ziehen, kann auch eine Atemlähmung auftreten. Ist dies der Fall muss der Patient beatmet werden, um eine ausreichende Sauerstoffversorgung des sicherzustellen.

Durch die beim Guillain-Barré-Syndrom auftretenden Lähmungen (Paresen) kann es zu Blutgerinnselbildung / Thrombose und Lungenembolie kommen, weil das Blut durch die fehlende Bewegung eher gerinnt.
Durch die mangelnde Bewegung wird auch die Entstehung von Druckgeschwüren (Wundliegen, Dekubiti), Gelenkeinsteifungen (Kontrakturen) und Lungenentzündungen begünstigt werden.

 


Datenschutzerklärung
Kostenlose Homepage von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!